Vom ersten Telefonat über All zu Laserlinks zwischen Satelliten

Foto © Hermann Martin

Ein Highlight der FMK-Aktivitäten 2023 war zweifelsohne der Besuch der Erdfunkstelle in Raisting. Die riesigen Satelliten-Schüsseln, sowie das Radom, sind von weither sichtbar. Wir hatten eine Führung mit Hermann Martin gebucht. Martin ist DER Fachmann, wenn es um alles Wissenswerte rund um diesen Standort geht. Unbeeindruckt schwieriger Wetterverhältnisse (Sturm und Starkregen) präsentierte er uns voller Begeisterung die Geschichte, technische Daten und Anekdoten dieses Industriedenkmals. Martin war als Betriebsleiter in der Erdfunkstelle tätig und hat die Mediengeschichte an diesem einmaligen Standort miterlebt und geprägt. Im Anschluss an die Führung ging es in das Radom selbst.

Entstehen und Werdegang der Erdfunkstelle Raisting

Mit dem Wirtschaftsboom der 50er und 60er Jahre in Europa und vor allem in Deutschland reichten bald die bestehenden 17 transatlantischen Telefonkanäle, die damals unterseeisch Deutschland mit Amerika verbanden, nicht mehr aus. Zudem konnten über die schmalbandigen Übertragungsstrecken keine Fernsehbilder übertragen werden. Die Deutsche Bundespost beauftragte deshalb 1961 die Firma Siemens als Hauptauftragnehmer, die Entwicklung und den Bau einer Erdfunkstelle zu übernehmen.

Als geeignetster Standort stellte sich das flache Ammertal bei Raisting in Oberbayern heraus. Die Höhenzüge östlich und westlich davon sowie die Alpen im Süden verhinderten Einstrahlungen von Richtfunkstrecken, die u. a. von Radarantennen an der deutsch-deutschen Grenze stammten. Die südliche Lage innerhalb Deutschlands führt bei Kontakten mit den auf der Äquatorebene fliegenden Satelliten zu kürzeren Troposphäre-Durchgängen und damit zu weniger wetterbedingten Beeinträchtigungen. Weitere Vorteile waren die günstige Verkehrsanbindung, ein ausreichender Platzbedarf für zukünftige Antennen und die Erdbebensicherheit des Geländes.

Als erster ziviler Kommunikationssatellit kreiste 1962 Telstar 1 um die Erde. Mit seinem Nachfolger Telstar 2 konnte die weltweit vierte Erdfunkstelle ein Jahr später erste Livebilder aus den USA empfangen. Heute kann man sich die damalige Euphorie, die solche Übertragungen erzeugten, nicht mehr vorstellen. Die sphärische Instrumentalversion "Telstar" der zuvor unbekannten britischen Band "The Tornados" wurde zum Sommerhit des Jahres und zum weltweit meistverkauften Instrumentalsong aller Zeiten.

Da die damaligen Raketen nur geringe Reichweiten erzielten, mussten sich die von ihnen ausgesetzten Satelliten schnell um die Erde drehen. Das bedingte auf der Erde sich mitdrehende Antennen, die genau den Himmelskörpern folgen mussten. Doch bereits nach 20 Minuten war Schluss. Erst zweieinhalb Stunden später konnte wieder ein Funkkontakt mit dem am westlichen Horizont auftauchenden Satelliten aufgenommen werden. Für Deutschlands erste Großantenne in dem kleinen Ort am Ammersee wurde erstmalig eine Kombination aus verschiedenen Antennenformen entworfen, die den Vorteil einer wesentlich kompakteren Bauform hatte. Zum Schutz vor Wind und Wetter erhielt sie ein Radom, eine aufblasbare, elektromagnetische Wellen durchlassende Kunststoffkuppel von nur 1,8 mm Dicke und 49 Meter Durchmesser. Nach 47 Jahren musste ein Austausch vorgenommen werden. Die dünnere Hülle stürzte aber einige Jahre später durch eine Orkanböe zusammen und machte die bis dahin funktionsfähige Antenne betriebsunfähig. Mit einem erneuten Aufbau 2020 konnte dann endlich das Radom wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Es ist mit seiner einzigartigen Antenne die letzte bestehende Großantenne aus der Anfangszeit des Satellitenfunks und heute ein Denkmal nationaler Bedeutung.

Im Radom (engl.: Radarkuppel) - Foto © Jürgen von Wedel

Mit Early Bird, dem ersten kommerziellen Kommunikationssatelliten auf der 36.000 Kilometer hohen geostationären Bahn (GEO), waren für die Menschen beiderseits des Atlantiks erstmals 24stündige Übertragungen möglich. In den 70er und 80er Jahren erhielt die Erdfunkstelle eine ganze Reihe weiterer Parabolantennen. Die größten davon haben einen Durchmesser von 32 Metern und besitzen eine Bandbreite von 500 MHz. Sie arbeiten im C-, Ka- und Ku-Band, das entspricht Frequenzen von 3,5 bis ca. 30 GHz.

Für das deutsch-französische Satellitenprojekt Symphonie wurde 1972 eine 15,5 Meter große Antenne mit eigenem Kontrollgebäude errichtet. Sie sollte mit den beiden gleichnamigen und zur damaligen Zeit innovativsten Satelliten Kontakt aufnehmen. Zu dem ehrgeizigen Projekt gehörte auch die Entwicklung einer Trägerrakete. Doch alle Startversuche der Europa 1 misslangen. So musste die NASA beide Symphonie-Satelliten ins All bringen und konnte somit festlegen, dass über sie kein kommerzieller Verkehr abgewickelt wird. Stattdessen wurde Bildungsfernsehen für Indien und afrikanische Völker ausgestrahlt. Die Deutsche Welle übertrug Sendungen nach Asien und in die Karibik. Bei einer ganzen Reihe von Betriebsexperimenten zu wissenschaftlichen Zwecken ging es um Kontakte zu beweglichen Objekten, die Synchronisation von Atomuhren zwischen Europa und Kanada und die Möglichkeit, mehrere Rechenanlagen über Satellit zu verbinden. Die Erkenntnisse daraus schufen Grundlagen für Navigationssysteme wie GPS, Glonass und Galileo. Eine ganze Reihe von heutigen Firmen, vor allem im süddeutschen Bereich, gründen auf den Erfolg der damaligen Mission.

Mit der für 20 Mio. DM umgebauten Symphonie-Anlage konnten ab 1991 erstmals Inmarsat-Satelliten ins Visier genommen werden. Diese lösten nach und nach die überwiegend auf Kurzwelle funkenden Küstenfunkstellen ab, da sie auch weiter entfernt fahrende Schiffe erreichen konnten. Die nun offiziell Küsten-Erdfunkstelle Raisting genannte Bodenstation wurde später auf landmobile und aeronautische Bereiche ausgeweitet. Ende 2001 verkaufte die Deutsche Telekom diesen Dienst an die France Telecom.

Fünf Jahre danach wurde die komplette Erdfunkstelle (ohne Radom) an die amerikanische Firma Emerging Markets Communications verkauft. Damit drehten sich auch die meisten Antennen in Richtung Südosten. Denn ihre Kunden waren überwiegend Firmen und NGO`s in Schwellenländern, also in afrikanischen und asiatischen Gegenden, die keinen terrestrischen Zugang zum globalen Markt haben. Einige Zeit später brachte Global Eagle zusätzliche Kunden ins boomende Geschäft: Tausende Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge standen unter Vertrag mit dieser amerikanischen Firma. Doch mit Corona musste Global Eagle Insolvenz anmelden. Vor etwa zwei Jahren hat nun der kalifornische Kommunikationsdienstleister Anuvu die etwa 60 Antennen übernommen und betreibt Satellitenverbindungen von Amerika über Afrika, Europa und Asien. Von Raisting aus ist sogar Australien erreichbar.

Ganz neu stehen auf einem abgezäunten Areal fünf kleine unscheinbare Antennen. Sie warten noch auf funktionsfähige Satelliten des Amazon-Projekts Kuiper und sollen noch dieses Jahr dem Satelliteninternetprojekt Starlink von Elon Musk Konkurrenz machen. Das besondere an diesen Antennen ist die Verfolgung niedrigfliegender Satelliten, so dass man sehen wird, wie sich die Schüsseln in etwa einer Viertelstunde um 170° drehen. Es sind vor allem kürzere Latenzzeiten, die diese Low Earth Orbit-Satelliten (LEO)  ̶  nach Jahrzehnten der Kontakte mit GEO-Satelliten  ̶  wieder interessant machen. Zwischen diesen LEO- und GEO-Satelliten sollen mit Laserlinks Backup-Informationen das System stabilisieren.

Antenne 1 und Antenne 2 übertrugen 1969 die erste Mondlandung, für die Übertragung der Sommerolympiade 1972 aus München in alle Welt wurde die dritte Großantenne gebaut. Im November 2023 jährte sich zum 60. Mal die erste Telefonverbindung von Deutschland nach Amerika über All. Der damalige Bundespostminister Richard Stücklen weihte in Raisting inmitten einer 100köpfigen Reporterschar eine mobile Versuchsantenne und damit das erste Satelliten-Telefonat mit dem Chef der NASA ein. Nach diesem Mann ist der Nachfolger des Hubble-Teleskops benannt. Als James-Webb-Teleskop erkundet es heute die ältesten Galaxien der Welt.

Hermann Martin, Raisting im Januar 2024

                      


FMK-Tipp: Führungen

Foto © Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e.V.

Vor der herrlichen Kulisse der Bayerischen Alpen mit der Zugspitze stehen im weiten Ammertal bei Raisting gigantische Antennen. Mit ihren Parabolschüsseln sind sie ins All gerichtet und stellen den Kontakt zu Satelliten und damit zu anderen Kontinenten her. Dieser in der Voralpenlandschaft idyllisch gelegene Ort ist die Wiege des Satellitenfunks in Deutschland. Das Radom, eine fast 50 Meter im Durchmesser große, weiße und weithin sichtbare Schutzhülle über der ersten Großantenne Deutschlands, sticht als technischer Meilenstein aus der grünen Umgebung hervor. Heute ist die Erdfunkstelle Raisting mit etwa 60 Antennen und Durchmessern bis zu 32 Metern eine der größten Satelliten-Bodenstationen der Welt.

Auf diesem schon etwas utopisch anmutenden Areal bietet seit 20 Jahren der Diplom-Ingenieur Hermann Martin Außenführungen an. In der Erdfunkstelle Raisting war er als Betriebsleiter vor allem für die weltweiten Fernsehübertragungen und die damals noch erforderlichen Farbfernseh-Normwandlungen zuständig. Sein Anliegen ist es, die hochkomplexe Technik einem breiten, aber interessierten Publikum näherzubringen. Dazu hat er große übersichtliche Informationstafeln an der Erdfunkstelle und im sehenswerten Heimatmuseum des Orts gestaltet. In seinem reichbebilderten Buch „Erdfunkstelle Raisting – Der weite Weg ins All“ steht nicht nur das, worüber er seine zahlreichen Gäste informiert, sondern auch die spannende Geschichte der Kommunikationstechnik von den ersten Impulsen über Tiefseekabel bis zum Milliardentransfer heutiger Laserbeams.

Führung mit Hermann Martin Foto © Michael Wundrak

Übersichtstafeln, Kabel- und Hüllenmuster machen seinen Vortrag spannend und anschaulich. Zwischenfragen sind ausdrücklich erwünscht. An Experimentierantennen kann jeder Besucher selbst den Richtfunkeffekt erfahren. Die vielen Daten und Zahlen, die Martin im Kopf hat, werden mit bekannten Größen verglichen, so dass man eine Vorstellung von den zum Teil unfassbaren Werten bekommt. An verschiedenen Standorten auf dem Gelände erklärt der ehemalige Betriebsleiter nicht nur die Telekom-Vergangenheit, sondern gibt auch Einblicke in das Geschäftsmodell der heutigen Betreiber. Die kurzweilige, etwa 75 Minuten dauernde Führung endet mit einer Fahrt zur technisch anspruchsvollsten 30 Meter-Antenne. Welcher enorme Aufwand hier betrieben wurde und immer noch wird, wird den von der Führung in aller Regel begeisterten Gästen gerade hier vor dem Bunker und der 450 Tonnen-Antenne bewusst.

Technik-/Touristik-Führungen buchbar unter: H. Martin; www.Erdfunkstelle-Radom.de


 

FMK-Lesetipp:

Über das Buch „Erdfunkstelle Raisting – Der weite Weg ins All“

 Buchcover © Hermann Martin

Ein weitgespannter Regenbogen vor drohenden Gewitterwolken verbindet zwei in den Himmel aufwärts gerichtete Großantennen. Er steht symbolisch für die globalen Satellitenübertragungen. Seine parabolische Form spiegelt die Kontur der Antennen wider, mit der Signale 40.000 km ins All gesendet und aus dem All empfangen werden.

So könnte man das Titelbild des neuen Buchs über die Erdfunkstelle Raisting von Hermann Martin wiedergeben. Auf 224 reich bebilderten Seiten beschreibt der ehemalige Betriebsleiter der einst weltgrößten Bodenstation die Geschichte von den Anfängen der elektrischen Nachrichtenübermittlung bis zu den Herausforderungen der Satellitenübertragung. Er spannt einen Bogen von der Ortsgeschichte Raisting bis zu den aktuellen Eigentümern einer der weltweit ersten Erdfunkstellen. Der Leser erfährt von den zu Beginn enormen Schwierigkeiten am Rande des Machbaren und ihrer genialen Lösung. Beschrieben sind auch die Einrichtungen in den Antennen und im Zentralgebäude sowie ihre Funktionen. Einblicke in das Geschäftsmodell der heutigen Betreiber mit ihrem Milliardentransfer an Daten zeigen die enorme Bedeutung nicht nur für den weltweiten maritimen und aviatischen Kontakt. Dem Radom als Denkmal, dem Einsturz und seinem Wiederaufbau zur größten Radom-Traglufthalle sind eigene Kapitel gewidmet.

Martin hat auch durch seine seit 20 Jahren durchgeführten Führungen an der Erdfunkstelle mit tausenden von Besuchern reiche Erfahrung gesammelt, wie die überwiegend technische Materie für Laien verständlich aufbereitet werden kann. So wendet sich sein Buch vorrangig an technisch und kommunikationsgeschichtlich interessierte Leser.

Hermann Martin: „ERDFUNKSTELLE RAISTING – Der weite Weg ins All“, ARTNIM-Verlag, ISBN 978-3-00-071559-4, Hardcover, 224 S., über 300 Abbildungen, 29,90 €, www.erdfunkstelle-radom.de

 

 

FMK on Tour - Führung mit Hermann Martin - Foto © Jürgen von Wedel

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